Im mysteriösen Hampi ...

No sleep im Sleeper

Am Donnerstag Abend um 22:05 machten Hannah und ich uns zum ersten Mal mit dem Zug auf den Weg in eines der Highlights Karnatakas: Hampi! Laut Reiseführern sei man hier umgeben von mysteriösen Ruinen und wunderschönen Felsenlandschaften. Also nutzten wir die Möglichkeit unsere Überstunden abzufeiern, nahmen uns den Freitag frei und stiegen bereits Abends am riesigen Bahnhof Majestic in Bangalore in den Sleeper-Zug der uns zu 5.30 Uhr nach Hosapete bringen sollte. 

Am Bahnhof war trotz der späten Uhrzeit noch einiges los: Familien mit zahlreichen Koffern und Taschen die sie auf den Köpfen trugen aber auch der ein oder andere westliche Traveller. Manche hatten Matten auf dem Boden ausgebreitet und schliefen. Relativ schnell fanden wir unser Gleis und warteten brav auf den Zug. Mit gar nicht so viel Verspätung (bisher hatten wir wirklich immer Glück mit den Zeitangaben) stiegen wir in den S8 und suchten unsere Pritschen. Hannah und ich waren etwas aufgeregt über unsere erste Zugfahrt, schließlich hatten wir bisher noch keinen Zug von innen gesehen. Die indischen Zugklassen unterscheiden sich in 1., 2. und 3AC Class und Sleeper (Schlafwagen ohne Klimaanlage). Die knapp 7h Fahrt im Sleeper kostete uns 240 INR (3€) pro Person. Die Sleeper sind in einzelne Berths eingeteilt: in einer Berth finden 6 Personen Platz. Die Betten sind in Upper, Middle und Lower eingeteilt, wobei die mittlere Pritsche erst ausgeklappt werden muss. Mit dem Wissen, dass man Gefahr läuft, sich die mittlere Pritsche erstmal mit Anderen teilen zu müssen, hatten Hannah und ich direkt die Upper Variante gewählt, um unsere Ruhe zu haben. Es war nicht wirklich viel Platz zur Decke und neben den Köpfen befanden sich direkt die Ventilatoren, welche, dem kühlen Wetter sei Dank, aus blieben. 

Alle Berths und auch die Seitenplätze waren belegt, alle holten ihre Kissen und Decken heraus und machten es sich bequem. Wir waren weniger gut vorbereitet: unsere Rucksäcke nutzten wir als Kopfkissen und unsere dünnen Schlafsäcke waren fast nur für das Gefühl, da die frische Luft durch die offenen Fenster eine ganz schöne Kälte mit sich brachte. Um ca. 23 entschied sich dann unsere "Berth-Gemeinschaft" das Licht auszumachen und nach und nach wurde es im gesamten Zug dunkel. Der Zug hielt an der nächsten Station, das Licht wurde wieder angemacht, die mittlere Berth ausgeklappt und es wurde wieder dunkel – wir hatten also gehalten, aber nirgends wurde durchgesagt wie der Halt hieß oder dass überhaupt ein Halt kommt. Da wir direkt unter dem Dach lagen konnten wir auch nicht heraus gucken: Wie sollten wir also wissen wann wir den Zug verlassen müssen? Insbesondere dann wenn wir einschlafen?! Smart und mit Phone wie wir sind, hatten wir uns die IRCTC-App heruntergeladen, die einen Destination-Alarm hatte (allein, dass es diese Funktion gab, zeigte uns, dass wir mit dem Problem wohl nicht alleine waren!) Allerdings konnten wir uns auf das GPS nicht wirklich verlassen, da wir wahrscheinlich zwischenzeitlich irgendwo in der Pampa sein würden – also stellten wir uns Wecker auf 04.30 Uhr und dann müssten wir mal sehen. Ich war fast eingeschlafen, da klopfte der  Schaffner an mein Fußende. Ab dann war es mit Schlafen auch irgendwie vorbei, ich hörte um mich herum die Menschen schnarchen, die kühle Luft war zu kalt und so wirklich bequem war der Rucksack als Kopfkissen eben nicht. Zudem noch immer die Gedanken darüber, ob wir unseren Halt auch wirklich erwischen würden. Irgendwie werde ich dann jedoch wieder eingeschlafen sein, wurde aber ab ca. 3.00 Uhr im gefühlten 30-Minuten Takt von den unterschiedlichsten Handy-Alarm-Tönen geweckt. Manche ließen ihren Alarm auch eiskalt 5 Minuten durchlaufen. 5.30 war dann auch bereits durchgelaufen und laut des Reiseplans der App sollte die nächste Station Hospete sein.  Als der Zug plötzlich hielt sprangen wir wie die Affen von unserem Upper Berth versuchten irgendein Schild durch die Fenster zu erspähen – Zur Belustigung der anderen Fahrgäste, die erstmal fragten wo wir hin wollten und uns dann mitteilten, dass noch zwei weitere Halte kämen. Zum Glück gibt es menschliche Kommunikation – also gingen wir das erste Mal an die offenen Türen und ließen uns den Fahrtwind um die Nase wehen. Die warme Luft tat richtig gut und wir fühlten uns unserem kleinen Reise-Abenteuer schon etwas näher ... 


 

Hampi

 

In Hospete ausgestiegen folgten wir der Masse zum Ausgang und ab dann ging das Touri-Leben richtig los. Da wir nicht einsahen für 200 Rps. eine Auto Riksha zu nehmen, nahmen wir den Weg entlang der Hauptstraße zum örtlichen Bus Stand. Den ca. 20 Minütigen Busweg mussten wir fast permanent Auto Driver abwimmeln. "Ma'am, I live in Hampi, I am from there.. " bis uns sogar eine kostenlose Fahrt angeboten wurde. Aber Hannah und ich nahmen lieber den Bus für 20 Rps. und genossen eine 30-Minütige Fahrt durch die Dörfer und über kleine Hügel bis eine Frau zu uns sagte "End Station." Der Bus hielt in Mitten von provisorisch aufgebauten Ständen, die neonfarbene Teddies und sonstigen Schrott verkauften. Daher entgegnete ich nur verwundert "Is this Hampi Bazaar?!" – und hier war er, der Beginn der absolut irreführenden Beschreibungen meines Reiseführers. Wir waren also in Hampi und so sehr es auch gehyped und als absolut sehenswert beschrieben wurde: Hampi ist einfach winzig! Von Hampi Bazaar aus gingen wir in ein kleines Dorf, zahlreiche Shops mit Tüchern und Kleidung sowie Restaurants – und wieder sehr aufdringliche Auto Driver und junge Herren die uns fragten ob wir ein Zimmer bräuchten. Wir waren auf der Suche nach unserem "Manju Guesthouse". Mein GPS sagte, es solle direkt neben uns sein, aber ich erkannte es nicht wieder und die Gruppe von ca. 10 Männern die bereits gefragt hatten ob sie uns helfen können, hatten wir zunächst auch erstmal ignoriert. Dann gab ich doch klein bei und ging auf das Angebot eines Typen ein, der fragte wo wir gebucht hätten – wir standen direkt daneben und die 10 Herren auch. Shiva, so der Name des kleinen, ca. 26-Jährigen, brachte uns in die Rezeption in der uns der Besitzer, ein ebenso junger Typ mit Nerd-Brille, ziemlich smart-looking und einem wirklich freundlichen Lächeln begrüßte. Das Guest-House und auch unser Zimmer war ähnlich wie in Pondicherry, kein wirkliches Fenster und nicht wirklich sauber. Wieder einmal war ich glücklich meinen eigenen Schlafsack dabei zu haben, auch wenn es nicht wirklich schlimm war. Das Schild des Guesthouses war mit weißer Farbe übermalt gewesen, weshalb wir es nicht direkt erkennen konnten. Als ich später Kish, den Besitzer darauf ansprach, sagte er, dass das Gericht entschieden habe, dass Guesthouses, etc. nicht mehr sichtbar sein dürften, da zu viele Touristen nach Hampi kämen. Insgesamt gäbe es über 60 Guesthouses in dem 200 Seelen Dorf Hampi – gefühlt gehörten sie alle Kish, da sowohl alle Riksha Fahrer und sonstige junge Herren ständig in oder vor unserem Guesthouse lungerten und mehr Gäste kamen als er Zimmer in seinem Haus hatte. Meine Yogalehrerin Nikita erzählte mir nach der Reise, dass die Regierung die Touristen aus Hampi raus haben wolle nachdem im letzten Jahr das "Rainbow Gathering" in Hampi eskaliert sei. Ca. 300 Hippies seien eingefallen, da Hampi auf der beliebten Goa-Route liege. Männer und Frauen seien bekifft und nackt durch die Straßen gelaufen und neben sexuellen Übergriffen waren natürlich auch die Einheimischen "not amused". Da es mittlerweile 10 Uhr war, brachte uns Shiva zu einem Restaurant und leistete uns erstmal unaufgefordert Gesellschaft. Dabei verkaufte er uns sehr geschickt die möglichen Touren durch Hampi – indem er uns fragte was unsere Pläne seien, was wir vor hätten usw. Er nannte natürlich keine Preise, sondern nur was wir alles machen könnten und wie er uns dabei unterstützen würde. "If you want to go here or there, just tell Kish (the owner) and he will call me and I'll take you there" Ehrlicher wäre gewesen: "It costs 1200 Rps. and it's not going to be me but my friend". Dazu später mehr. 

 

 

Hampi Waterfalls

 

Wir ließen das Angebot auf jeden Fall erstmal offen und beschlossen wieder mal auf eigene Faust und für Lau uns die Hampi Waterfalls anzuschauen. Die Beschreibung in meinem Reiseführer war wieder mal vielversprechend: 2 km Richtung Westen von Hampi, durch Bananenplantagen und man erreicht die Waterfalls. Ganz so einfach war es dann natürlich nicht. Zunächst gingen wir durch Bananenplantagen auf Kieswegen – und es war teilweise keine Menschenseele weit und breit, kein Tourist, kein Auto Driver. Mein GPS sagte aber wieder mal, dass wir richtig seien. Dann fuhr doch mal ein Auto mit Touristen an uns vorbei und wir schienen richtig. Die "Straße" endete an einer Bananenplantage und wir erkannten das frühere Auto wieder. Da der Weg aufhörte, erkundeten wir uns beim Auto-Fahrer. Seine Antwort: "Yes, this way, it's easy: first Bananas, then Rocks, then Gras, then Desert and then water." Ein anderer Herr bot uns 5m weiter als Guide an und ein anderer Auto Driver sagte nur: " You should take a guide" – "No, thanks, Sir." – "It's your life." Ahhhhja, it's your life. Hannah und ich mussten doch ziemlich schmunzeln über wieder mal eine interessante Formulierung. Da der Weg durch die Bananenplantagen mit etwas Geschick zu finden war, ignorierten wir auch den zweiten Guide, der uns über den Weg lief und nur auf unsere Ablehnung mit "It's your life" entgegnete. So langsam waren wir doch verwirrt was uns erwarten würde. Nach den Plantagen kam, wie erwartet, ein paar Rocks und dann Gras. Wir steuerten leicht nach Süden, und trafen auf Ziegen – für mich sah es aus wie die Desert, oder sollte dies das Gras sein? Der Weg war nicht mehr so leicht zu erkennen. Oben von einem Felsen herab schrie dann ein Ziegenhirt " Ma'am, waterfalls? right and then left!". Einmal im Kreis zu laufen schien mir aufgrund der Pampa in der wir uns befanden als passable Leistung. Wir stiefelten wieder ein Stück zurück und als ob er vermutet hätte, dass wir den falschen Weg einschlagen würden, saß unter einem Baum, der zweite Guide. "It's hard to find, Ma'am!"... danke dafür. "I can show you, I take no money, you pay what you want." Wir hatten keine Lust noch weiter zu suchen, weit konnte es nicht sein, also würden wir ihm ein bisschen Geld geben und fix dort sein. Er führte uns also durch Gras, durch Desert und schließlich durch die Rocks. Ich dachte einfach mal nicht darüber nach, dass uns ein wildfremder Typ durch die Wildnis von Hampi führt. Und bisher kein Wasserfall in Sicht.  Die Hampi Waterfalls versteckten sich dann doch hinter ein "paar Felsen". So viele Steine auf einmal, wirklich glatt und weich, interessant geformt und ab und zu ein paar schnellere Strömungen – aber grundsätzlich nicht überwältigend und auch keine Wasserfälle im Sinne von Wasserfällen. Den Guide gaben wir unseren Tip, scheinbar zu wenig, leicht mürrisch zog er dann von dannen. Er hatte uns noch angeboten auf uns zu warten, aber wir waren schon so weit alleine gekommen, zurück würden wir es wieder schaffen. 

Wir ruhten uns etwas am Wasser aus, kühlten uns ab, gingen aber nicht schwimmen. Andere waren bereits am Baden und nach und nach kamen die zwei Guides immer wieder mit Grüppchen aus Touristen. Wir sprachen mit einem Briten, der uns erzählte, dass er knapp 4h durch die Landschaft geirrt sei, bis er einen kleinen Jungen mit zwei Hunden angetroffen hätte, der ihn zu den Wasserfällen geführt habe. Da es wirklich heiß und er nicht mehr so viel Wasser hatte, nutzte er dann schnell die Möglichkeit mit einem Guide zurück zu gehen. Hannah und ich, noch immer überzeugt, dass wir den Weg alleine zurück finden würden machten uns nach ca. 2h auf den Rückweg. Ich hatte gesehen wie einer der Guides um einen sehr großen Stein zurück gegangen war und hatte mir diesen als Zugang gemerkt. Zusammen, mit unserem Erinnerungen an Dinge, die wir an bestimmten Stellen gesagt hatten, Momente die Hannah gefilmt hatte und dem Muster der Schuhe auf dem Boden fanden wir ratzfatz den Weg ohne Umwege zurück. Proud as hell, kamen wir zurück an den Ort an dem die Guides warteten und bildeten uns ein, dass sie beeindruckt und etwas genervt davon waren, dass wir es alleine geschafft hatten.

Durch die Bananenplantagen gingen wir also wieder zurück trafen vereinzelt auf Menschen die uns grüßten, Marihuana anboten oder nach anderen Touristen fragten denen sie etwas verkaufen könnten. Plötzlich kam aus dem Dickicht einer Bananenplantage ein lautes "Namasté!" Hinter einer Palme stand ein älterer Herr mit einer Machete und trennte Bananen ab. "Buy Bananas, Ma'am? Baby Banana?" Hannah und ich hatten eh schon geplant Bananen zu kaufen,  also kam dieses Angebot sehr passend. "1kg, 20 Rps – One minute, one minute.." Wie von der Tarantel gestochen rannte er plötzlich durch die Bananenplantage und kam mit einem Tütchen und Bananen wieder. Sofort schälte er uns eine und wir "stießen" mit ihm an. Die Bananen waren süß und lecker und wir gaben ihm etwas mehr Geld als gefordert. "Wow, thank you Ma'am!" – in diesen Momenten fühle ich mich wirklich schlecht. Ich gebe 7 Cent mehr, und für die andere Person ist es so viel Geld, dass sie sich aufrichtig freut. Ich könnte ihm 300 Rps, knapp 3€, geben aber dann fühle ich mich gleichermaßen so sehr überlegen und möchte auch keine Arroganz ausdrücken – advice, anyone?

Sonnenaufgang vom Hanuman Tempel

 

Wir hatten uns für den nächsten Tag den Hanuman Tempel vorgenommen, Shiva hatte uns darauf gebracht den Sonnenaufgang von dort aus zu beobachten. Wir hatten also Kish Bescheid gegeben, dass wir für den nächsten Tag einen Ride bräuchten. Um den Sonnenaufgang zu beobachten sollten wir um 4.30 los fahren. Shiva war am Abend extra nochmal vorbei gekommen, um mit uns die Zeit abzusprechen. Am nächsten Morgen war er dann auch dort, aber sein 'brother' würde die Tour mit uns machen nicht er. In einer gefühlten Eiseskälte und absoluter Dunkelheit fuhren wir ca. 40 Minuten durch die Landschaft. Hier und dort saßen Menschen um Feuerstellen, kamen vom Tempel oder verrichteten ihre Morgentoilette im Gebüsch. 

Wir waren in der Annahme, dass zahlreiche Menschen am Fuße des Tempels sein würden um die 570 Stufen zu erklimmen, aber tatsächlich war unsere Riksha die Einzige. Es war noch immer stockdunkel und wir waren unsicher ob unser Driver mit uns kommen würde. Er stieg mit uns aus und brachte uns zum Beginn der Treppen. "Do you have a torch?" – "Ehhh... we have our mobile phones" – "Are you scared?" – "No, no..." – "Okay, go slow, take your time, I wait here..". Etwas unheimlich war es schon, vor allem weil oben vom Berg jemand ständig irgendetwas rief. Mit unseren Handy-Taschenlampen leuchteten wir uns die Stufen, wobei der Mond auch ausreichend Licht spendete. 

Teilweise durch Steinspalten führten die Stufen zum Affentempel und wir waren schneller oben als gedacht. Im Tempel waren einige Tempelgänger die eine Puja durchführten und dabei immer versuchten die zahlreichen Affen von den Opfergaben fern zu halten. Noch immer waren wir die einzigen Touristen, langsam begann es zu dämmern und als wir dachten das wäre es schon gewesen, erstrahlte die Sonne glutrot am Horizont – und so langsam erwachte die Welt zu unseren Füßen zum Leben. Der Fluß wurde sichtbar, man hörte Hähne krähen und die Vögel zwitschern. Gegen 7 Uhr war dann das satte Grün der Reisfelder und die sandfarbenen Steine sichtbar und die Morgenröte verblasste. Zeit für uns, den Tempel zu verlassen und endlich zu Frühstücken. Wir fuhren also auf die andere Seite des Flusses. Hier war ein Hängematten-Lager an das andere gereiht, junge Touristen lagen mit Joint darin und waren mehr als entspannt. Das internationale Frühstücksangebot nahmen wir dennoch an und mit Blick auf den Fluss beobachteten wir wie um 8.00 Uhr morgens Lakshmi die Tempelelefantin gebadet wurde. Im Anschluss fuhren wir durch die Landschaft sahen die Reisverarbeitung, kamen zu einem Stausee und zu diversen Tempeln, die bis auf Einen weniger spektakulär waren.

 

Da wir so früh wach waren, war der Tag natürlich ewig lang, weshalb wir uns nochmal ausruhten und uns Abends mit zwei anderen Freiwilligen aus unserer Gruppe (Sarah und Lissie aus Tamil Nadu) trafen. Bevor wir uns mit den Anderen jedoch auf die Dachterrasse setzen wollten, gingen wir nochmal zum Fluss. Wir setzten uns auf den Boden, hinter uns war eine ca. 45 Grad abgeneigte Steinfläche und während wir so auf den Fluss schauten und unsere Gedanken schweifen ließen schlitterte hinter mir etwas die Steine herunter. Aus dem Augenwinkel dachte ich es sei ein Ast von den Bäumen die oben am Anfang der Steine standen. Es schlitterte also an meinen Rücken und als ich an meiner Hüfte herunter schaute, sprang ich fluchend auf: es war kein Ast, sondern eine Schlange! Zwar keine große, aber eine Schlange – genau so geschockt wie ich saß das Tier erstmal still und hatte den Kopf angehoben. Mein Adrenalinspiegel, der kurz zuvor auf Flucht hochgeschossen war, brauchte locker noch 10 Minuten um sich wieder einzuspielen. Den Tag zuvor hatten Hannah und ich noch auf dem Weg zu den Wasserfällen über unsere Tierabneigungen gesprochen und beim Schreiten in meinen Schlappen über alte Bananenblätter dachte ich noch "Hier würde ich auch keine Schlange sehen, wenn es welche geben würde." Da hatte ich die Situation also. Die Schlange zisselte dann langsam davon und wir suchten uns einen Platz an dem nichts von oben herunter kommen konnte. Ich habe es nochmal gegoogelt, aus der Erinnerungen war es eine Common Wolf Snake, wie gesagt nicht groß aber überraschend. 

 

 

Little Prince of Hampi

 

Nachdem wir uns mit Sarah und Lissie getroffen hatten, gingen wir zurück ins Guesthouse in setzten uns auf die Bank vor unserem Zimmer. Aus dem Office kam ein junger indischer Mann und fragte uns plötzlich: "Hi, alles gut?" und da war er: Prince – "Little Prince of Hampi". Prince ist 30, Riksha-Fahrer und weiß, dass er gut aussieht – athletisch und groß (eher unüblich für indische Männer). Er erzählte uns, dass er ein bisschen Deutsch könne, da er für drei Monate mit einem Deutschen Mädchen zusammen gewesen sei. Sein deutsches Vokabular beinhaltete: Alter Falter, hübsches Madl, Mietzekatze, los geht's. Wir beschlossen Prince im Office Gesellschaft zu leisten und bekamen die beste Akzent-Imitations-Show aller Zeiten! Wir lachten Tränen als Prince Britisch, Französisch, Italienisch und Spanisch-Englisch sprechende Gäste nachahmte und "natürlich" nicht wusste, wie er den deutschen Akzent imitieren solle. Das Gespräch ging allerdings auch in vielen Richtungen zu Anspielungen, Angeboten und seinen Frauengeschichten. Eine Essenz seiner Ansicht: weiße Frauen sind einfach zu haben und suchen das Abenteuer, warum also nicht nehmen was man kriegen kann. Hannah und ich hatten uns während der letzten Tage mehrmals darüber aufgeregt, wie freizügig junge, weiße Frauen durch die Gassen gingen. Ausschnitte, sodass die Brüste einen fast anfielen und Shorts knapp unter die Pobacken. Ein Stück weit schämten wir uns sogar wie ignorant dieses Verhalten ist. Nicht nur, dass es wirklich nicht schön anzusehen war – es vermittelt eben doch das völlig falsche Bild in einer Kultur die anders funktioniert. Zumindest habe ich das aus dem Gespräch mit Prince gezogen. Nachdem er merkte, dass weder Hannah noch ich auf ein Abenteuer "with a brown man" aus sind, begann er uns sein Leid zu klagen – so Leid es mir für ihn auch tut, ich war dankbar für das Gespräch und die Einsichten die ich dadurch bekam. "You can be so happy that you are free, you are free to do whatever you want." Dieser Satz sollte uns später noch die absolute Misinterpretation lehren. Prince dated heimlich Mädchen, scheint der indische Lover für die eine oder andere zu sein, einfach weil er sich nicht offiziell mit einem indischen Mädchen treffen kann. Da er nicht zum College gegangen sei und es in seinem Beruf auch keine Frauen gäbe, habe er keinen Deckmantel mal ein Frau mit nach Hause zu bringen ohne, dass es Streit mit seinen Eltern gäbe oder die Nachbarn anfangen würden zu tratschen. Der soziale Status ist und bleibt das Wichtigste. Mögliche Kandidatinnen für arrangierte Ehen habe er bereits abgelehnt, aber schon heimlich Freundinnen gehabt, die ihn jedoch betrogen hätten. Den heimlichen Affären könne er also auch nicht trauen. Das Geld, das er verdient habe, sei für die Heirat seiner Schwester drauf gegangen und nun müsse er seine Eltern unterstützen.

Da er uns ganz am Anfang gefragt hatte ob wir ihn über Silvester nach Goa begleiten wollen würden und auch so erwähnte, dass er viel mit "Foreigner Girls" gereist sei fragte ich mich dennoch wie er all das finanzieren würde. Gelegentlich erwähnte er, dass die Mädels alles zahlen würden. Mit uns nach Goa zu fahren würde ihm "more respect" bringen. Auf diese Art von Respekt kann ich jedoch verzichten. 

Ruinen und Raudis

 

Als letzte Unternehmung unseres 3-Tages-Trips wollten wir uns die Ruinen die Hampi so berühmt machen anschauen. Schon wieder 1000 Rps für eine nur 2km lange Strecke auszugeben sahen wir nicht ein und entschieden uns die Hauptstraße zu den nah beieinander gelegenen Ruinen zu Fuß zu gehen. Es war ziemlich heiß, aber mit den Tüchern über den Köpfen und wenn man sich einfach nicht darüber Gedanken macht, dass es einem den Rücken herunter läuft ist es okay. Einige Autos fuhren an uns vorbei, aber andere Fußgänger sahen wir nicht. Die Tempel und Ruinen sind Teil des UNESCO Welterbes und so einsam und verlassen wie sie in der Landschaft standen ließen sie nur erahnen, dass hier sehr viele Menschen (ca. 200.000) gelebt haben müssen und Hauptstadt des Königreichs Vijayanagar war. Die Könige brachten Wohlstand in die Stadt und Hampi wurde zum Zentrum des Handels. Nach einem sechsmonatigen Angriff, geleitet von 5 Sultanen, erholte sich Hampi jedoch nicht mehr und die verschiedenen Dynastien konnten den Reichtum der Stadt nicht wieder auferleben lassen. Nicht nur Könige liebten Hampi, auch die Götter Ram und sein Bruder Lakshman sollen auf der Suche nach Sita, die Geliebte Ramas die von Ravana (dem Dämonenkönig) entführt wurde, hier Rast gesucht haben. 

Wir sparten uns mal wieder den Eintritt zu den Elefantenställen, der für Foreigner 500 und für Inder 40 Rps kosten sollte und streiften durch alle frei zugänglichen Tempel, Moscheen und undefinierbare, kunstvoll erschaffene Anlagen. 

Zuletzt endeten wir wieder auf dem Rückweg bei meinem persönlichen Ruinen Highlight: die Ruinen auf dem Berg mit Blick auf das 200 Personen Dorf Hampi. Wir verweilten auf den Steinen und schauten uns den Trubel rund um das Dorf und den Tempel an, bevor wir selbst für 50 Rps Eintritt in den Tempel gingen. Im Inneren trafen wir dann auf Lakshmi, die bemalte Elefantin, die gefüttert wurde  oder für 10 Rps Einen mit ihrem Rüssel segnete. Wir verzichteten auf den speichelgetränkten Rüssel auf unseren Köpfen und machten uns ein letztes Mal auf, um den Sonnenuntergang von der Dachterasse mit einem Mango-Lassi zu genießen, bevor uns die Rückfahrt im Karnataka State Road Transport Corporation (KSRTC, der staatliche Reisedienstleister) Bus bevor stand. Im Non-AC Sleeper konnte man glücklicher Weise die Fenster öffnen, sodass die frische Luft die lange Fahrt erträglicher machte. Nur leider war die Fahrt auf den humpeligen Straßen so unentspannt, dass ich mich eher darauf konzentrieren musste, dass mir nicht schlecht wurde anstatt zu schlafen. Um 5.30 erreichten wir dann wieder Bangalore, fuhren nach Hause, holten noch zwei Stunden Schlaf nach und standen um 10.00 Uhr wieder im Office der DSF. 

 

Kommen wir zu den Raudis. Ich habe mich bewusst entschieden diese Erfahrung mit euch zu teilen, in der Hoffnung, dass nicht sofort ein Stereotype über Indien bestätigt wird sondern vielleicht auch die Sichtweise ändert. Der Vorfall den ich nun schildern werde, war einfach nur blöd, hat Hannah und mich noch lange beschäftigt und auch ein Stück wach gerüttelt. 

Auf dem Weg zu den Ruinen gingen wir wie gesagt eine Hauptstraße entlang, auf der nicht viel los war. Von hinten kam ein Motorrad mit drei Jugendlichen heran gefahren, die auf Schrittgeschwindigkeit neben uns fuhren. Die drei Jungs, ca. 15 bis 17, fragten uns wie wir hießen, woher wir kämen, der übliche Smalltalk. Sie fuhren weg und kamen wieder. Sie fuhren erneut dicht neben mich heran, sagten "Hello, Ma'am" und als ich nicht direkt reagierte, da ich auch zunehmend genervt von diesem Verhalten war, tatschte mich einer der Jungs an meinen Arm, der über meiner Brust lag um mein Tuch festzuhalten. "Hey ..." – entgegnete ich nur, da sie mich nicht anfassen sollten. Sie kicherten und drängten den Fahrer wieder weg zu fahren. Hannah, die hinter mir lief sagte nur leicht erschrocken: "Jule, hat der gerade ... " – "Nein, nein, der hat nur meinen Arm berührt, weil ich ihn nicht angeschaut habe...". Das Motorrad kam erneut zurück, zwei der Jungs schienen unwohl dabei, sie fuhren hinter mir auf der Höhe von Hannah und ich hörte nur "Alter, geht's noch?!" und wieder fuhr das Motorrad weg, ging jedoch aus und die Jungs wurden hektisch. "Er hat mir gerade einfach an die Brust gegriffen!" – Wir waren zu perplex und das Motorrad bereits weg. 

 

Zunächst habe ich die Situation als "halb so wild" eingestuft. Aber mittlerweile und nach langer Reflektion mit Hannah, bin ich der Überzeugung es wäre jetzt falsch zu sagen, dass "Nichts" passiert ist. Ich bin froh, dass es bei einer unangemessenen Berührung geblieben ist, bin aber auch der Ansicht,  dass ich nicht erst vergewaltigt werden muss um mir die Situation zu Herzen zu nehmen und darüber reden zu wollen. Einige sagten bereits, dass sie überrascht wären, dass noch nichts passiert sei oder dass Indien dafür bekannt sei  – und dazu habe ich nach wie vor eine ganz klare Haltung: in was für einer Welt leben wir, in der ich als Frau damit "rechnen" muss gegen meinen Willen angefasst zu werden?! Mir war die Thematik hier in Indien bewusst, aber wie würde mein Alltag aussehen, wenn ich alleine Riksha fahre, mich durch die Gruppe von Männern am Essensstand schlängel, in der Dämmerung zum Supermarkt gehe oder sogar meinen PUC Boys alleine in einem geschlossenen Raum Unterricht gebe, wenn ich allen männlichen Geschöpfen unterstelle, dass sie nur eins im Sinn haben? Richtig – ich bräuchte keinen Fuß vor die Tür setzen oder könnte direkt nach Hause fliegen. Ich kann nur sagen wie es ist, es hat mich einfach eiskalt erwischt und bin zutiefst schockiert, aber ich hatte nun mal den knapp 4-monatigen Beweis, dass es nicht der Alltag ist, da uns in Bangalore die ganze Zeit über nicht im Ansatz eine derartige Situation passiert ist. Nun wurde ich eines Besseren belehrt, es kann immer und jederzeit passieren, was aber für mich nicht bedeutet, dass ich dauerhaft auf der Hut sein werde und bei jedem Blickkontakt die Alarmglocken schrillen werden. Ich werde weiterhin auf mein Bauchgefühl hören, jedoch gibt es ab jetzt ein paar Regeln mehr: 

1. Mindestens eine Armlänge Abstand zu männlichen Personen

2. Nur noch Fotos mit Kindern (die keine Angst vor uns haben und nicht nur aus Wunsch der Eltern) sowie Schulklassen und Frauen

3. Nicht auf jegliche Ansprache reagieren (haben wir vorher auch nicht, aber ein freundliches Lächeln kann schon ausreichen)

 

Jetzt zu dem Punkt, der mich noch immer wahnsinnig wütend macht: Am meisten ärgert mich, dass wir zu perplex waren um den Jungs egal auf welche Art und Weise, deutlich zu machen, dass sie in keiner Weise das Recht dazu hatten. Eine weitere Erfahrung die ich daraus ziehe, sobald im Ansatz etwas passiert werde ich beschimpfen, schreien und schlagen – es wäre mir auch dann egal, ob die andere Person aus Versehen oder mit Absicht agiert hat. Des Weiteren stelle ich mir die Frage, ob sie es bei indischen Frauen auch getan hätten? Ich muss betonen, dass Hannah und ich in T-Shirts, langen Hosen und Tüchern über Kopf und Brustkorb, die Straße entlang gelaufen sind und, meines Erachtens, keine visuellen Reize gesetzt haben. Daher bleibt meine einzige Erklärung, dass eben genau dieses Bild ist, das viele weiße Damen (man erinnere sich an die Britinnen) in Indien verkörpern, dass sie dachten, dass sie es mit uns ja machen könnten. Die zweite Frage die sich mir stellt ist, war es nur generelles pubertäres Verhalten oder ist es das Resultat der Handhabung der Geschlechter der indischen Kultur? Soweit ich es in unserem Center beobachten konnte ist das Verhalten zwischen Jungs und Mädchen definitiv anders als in Deutschland. Jungs können nicht mit Mädchen in einer Bank sitzen, Konversationen sind nur bedingt möglich, manche reden viel miteinander, andere versinken vor Scham im Boden.  Die strikte Geschlechtertrennung ab einem bestimmten Alter und der damit verbundene unnatürliche Umgang mit dem anderen Geschlecht fördert wahrscheinlich die Neugierde und Unsicherheit. Die Jungs auf dem Motorrad waren schätzungsweise 16 oder 17 – vermutlich haben sie weder viel Umgang mit Mädchen außerhalb ihrer Familie geschweige denn körperlichen Kontakt. Wie ihr vielleicht merkt suche ich immer noch Erklärungen für das dreiste Verhalten, das keinerlei Akzeptanz und Verständnis verdient, ich es aber dennoch einfach verstehen will ...

 

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