So langsam hat mich bzw. uns „endlich“ der Alltag erreicht und der sieht folgender Maßen aus:
Ich stehe zwischen 5:30/5:45 auf und gehe zu 06.00 Uhr zum Clubhaus in der Anlage und mache eine Stunde Yoga – ich bin zwar schon mit Abstand die Jüngste in der kleinen Gruppe von 6 bis 7 Personen aber ganz sicher nicht die Fiteste, wie Nikita unsere „Trainerin“ sagt: „We can work on your flexibility!“ Ja und an meiner Kondition ganz bestimmt auch, denn Yoga ist im Moment nicht wirklich entspannend sondern eher sehr, sehr anstrengend. Entspannend ist dann eher die Dusche danach und die 2,5h die mir noch bleiben bis Sharmeela mich und Hannah in ihrem Auto mit ins Center nach Malleshwaram nimmt. Manchmal bin ich vom Yoga so geschafft, dass ich nochmal für eine Stunde schlafe oder ich bin so Energie geladen, dass ich bereits vor der Arbeit Wäsche wasche.
Dort sitzen Hannah und ich dann immer mal an einem anderen Arbeitsplatz, mal in der Küche, mal auf der Terrasse, mal mit im Büro von Sharmeela und Sagay. Zur Zeit arbeiten wir an einem kleinen Clip für die DSF für eine Spendenkampagne. Daher haben wir alle zwei Tage ein Meeting mit Maitreyee und Meena. Nebenbei arbeite ich an einer Broschüre und alle weiteren Medien die anfallen. Gegen 13.00 Uhr nehmen wir die wohl wichtigste Mahlzeit in Indien ein: LUNCH! Da Hannah und ich im Gegensatz zu den Jungs in RT Nagar kein Essen von einer Mutter eines ehemaligen Schülers der DSF gekocht bekommen gehen wir in die nahgelegen Restaurants essen. Restaurants ist dabei vielleicht gelogen, meist landen wir bei „Ganesh“. Entweder holen wir uns das Essen dann „Parcel“ oder setzen uns an die lange Theke zusammen mit den meistens männlichen Gästen. So langsam arbeiten wir uns durch die Speisekarte. Ein Dauerrenner und unser Favorit bleibt dabei jedoch Masala Dosa, Mangalore Bun, Maddur Vadda. Khara Bath oder Chow Chow Bath kommt gelegentlich auch auf den Teller oder wir gehen zum Imbiss an dem sich gefühlt alle Auto-Driver der Straße ihren Lunch holen: Reis mit Dal. Im Schnitt geben wir 30 bis 40 Rps. für eine meist zu große Portion aus. Am Nachmittag und eigentlich ca. 3x am Tag wird uns im Büro Chai oder Kaffee gekocht – wofür wir unsere Kollegen über alles lieben.
Montags und Dienstags Abends gebe ich dann, wenn ich keine anderen wichtigeren Aufgaben habe, Englisch Unterricht für die Pre-University College Students. Je nachdem wie viele Schüler zwischen 15 und 17 Jahren kommen, fange ich im Moment wieder ganz vorne bei der Englischen Grammatik an. Von 16.30 bis 18.00 habe ich dann die ganz unterschiedlichen Schüler und Schülerinnen in meiner Obhut. Die Einen sind frech und vorlaut, sprechen aber gutes Englisch, die anderen sind schüchtern und können sich schlecht ausdrücken. Ich versuche mit ihnen an ihrer Präsenz und ihrer Aussprache sowie der Grammatik zu arbeiten – nebenbei werden dann die wichtigen Fragen geklärt: z.B. wie teuer ein Motorrad in Deutschland ist, oder dass menschlicher Speichel gefährlicher als der eines Hundes ist – je nachdem was den Schülern einfällt. Danach nimmt Sharmeela uns wieder mit zurück nach Hause.
Dienstags und Donnerstags, bzw. zwei Mal die Wochen haben wir dann abends um 19.30 in unserer Wohnung Hindi-Unterricht, von Shalene einer älteren Bewohnerin des Hauses, die einen Doktor in Hindi hat. 15h sind vom weltwärts-Programm angedacht, je nachdem wie es uns gefällt werden wir aber auch über die 15h hinaus Shalenes Unterricht in Anspruch nehmen. Im Moment lernen wir die 32 Konsonanten, nachdem wir die 13 Vokale gelernt haben. Teilweise verzweifelt Shalene an unserer Aussprachen, teilweise wir an ihrer. Insbesondere bei der Phonetik der Buchstaben „d“ und „t“. Vorletzte Stunde hätten wir fast aufgegeben, bis wir herausgefunden haben wie wir unsere Zunge in den Gaumen drücken müssen um ein proper „d“ und „dh“ auszusprechen. Shalene Ma’am fragt uns dann Einzeln ab oder bittet uns an unser von der DSF geliehenes Whiteboard, um den korrekten Buchstaben anzuschreiben. Um 21.00 Uhr verlässt sie uns dann wieder und meist war der Tag dann auch so anstrengend, dass wir alle nur noch Zeit für uns haben wollen, sprich uns zurück ziehen, laufen gehen, mit dem Einen oder Anderen in Deutschland skypen und schließlich schlafen.
Mittwochs und Donnerstags startet unser Tag etwas später gegen 10.30 und Hannah und ich fahren mit Sharmeela nach Santha Beedi, der Schule in Yeshwantpur von der ich bereits berichtet hatte. Die dortige 3. Klasse haben wir Dank der Aufteilung in drei Gruppen nun im Griff. Die Alligators, Bees and Cats sitzen dann mit jeweils einem von uns auf dem Boden (da irgendjemand entschieden hat, dass es keine Tische und Stühle mehr geben soll!!!). Meine „Cats“ sind nur Jungs, welche vom Lernniveau die Schwächsten in der Klasse darstellen. Santosh, Manjunath, Naveena, Shahid und Sahil sitzen also im Kreis um mich herum und ich habe eine kleine Tafel in der Hand auf der ich das ABC auf und ab gehe. Dann erhalten sie ihre Taschen in denen ihre Arbeitshefte (Workbook und Schreibheft) und Stifte (10er Pack Buntstifte, Bleistift, Anspitzer, Radiergummi) von der DSF sind. Ich muss betonen was in den Taschen ist, da einige Schüler so sorgfältig mit den Sachen umgehen, dass sie sie gar nicht benutzen. Radiergummis und Anspitzer sind noch eingepackt, weil sie sie so schön und neu behalten möchten. Sobald sie die Hefte in denen sie die Buchstaben schreiben und kleine Rätsel lösen müssen sind sie kleine Engel, weshalb wir entschieden haben die Konzentration so lange wie möglich aufrecht zu erhalten und immer in den letzten 15 Minuten zu Singen oder kleine Spiele zu spielen – Bei „If you’re happy and you know it clap your hands“ gebe ich dann also immer nochmal alles und manche Kinder können davon nicht genug bekommen und wollen immer weiter machen.
Seit letzter Stunde haben wir ein kleines Belohnungssystem eingeführt und zwar, dass der beste (sprich fleißig und diszipliniert) Schüler der unterschiedlichen Gruppen einen kleinen Smiley-Anstecker bekommt. Das Gesicht von Shahid, derjenige zu sein, der den Button bekommt war unbezahlbar – Sahil hat es stattdessen vorgezogen so beleidigt zu sein, dass er mich bis zum Ende nicht mehr anschauen und auch nicht mehr am Spielen teilnehmen wollte. Direkt war die Befürchtung von Sharmeela, dass er nächstes Mal nicht mehr kommen würde: Hannah und ich sind jedoch der Ansicht, dass die Kinder auch Wertschätzung erfahren sollten und lernen müssen zu akzeptieren, dass Andere dieses Mal besser waren – beim nächsten Mal haben sie wieder die Chance sich einen Button zu erarbeiten. Einfach immer allen Kindern ‚rewards‘ zu geben, dafür, dass sie 10 Minuten vorher ihre Hefte zu klappen, mit Abwinken und Gesicht verziehen demonstrieren, dass sie keine Lust mehr haben, sollte einfach nicht belohnt werden. Für die nächsten Stunde haben wir kleine, goldene Sternsticker besorgt damit nach einer fertig geschriebenen Seite nicht nur ein „High-Five“ sondern auch etwas anderes Sichtbares ein gutes Gefühl erzeugt – Sterne von 1 bis 3, lassen Sahil hoffentlich nicht mehr Schmollen, etwas tat es mir ja schon Leid. Ich hoffe, dass er mich morgen wieder mit einem frechen Lächeln begrüßt.
Freitags und Samstags (da ich jeden zweiten Samstag auch von 10 bis 18 Uhr im Centre bin) verlaufen dann relativ ruhig und ähnlich wie Montage und Dienstage an denen wir an unseren Aufgaben der DSF arbeiten. Etwas genervt davon, dass wir unsere Sonntage und freien Wochenenden im Moment einfach so verstreichen lassen, sind wir am 13.11. nach Mysore gefahren (ca. 3h von Bangalore entfernt). Morgens um 4.30 in der Frühe habe ich uns Sandwiches gemacht und um 6.15 sollte der Bus gehen – daraus wurde dann eher 7.15 aufgrund des Traffic. Fast hätten wir diesen dann auch noch verpasst, da niemand des Busunternehmens es für nötig gehalten hatte mitzuteilen, dass sich das Kennzeichen des Busses geändert habe. Nur weil ich mitbekommen hatte wie ein Mann kurz „Meiser“ rief und daraufhin zum Schalter ging um nachzufragen stiegen wir noch 5 Minuten vor Abfahrt ein. Die Fahrt dauerte dann auch ziemlich lange und irgendwann kamen wir dann in Mysore an. Bereits beim Aussteigen war der Busfahrer so freundlich den Auto-Drivern anzukündigen, dass Foreigner kommen würden – an das Belagert werden von Drivern, die einfach 10 Min. neben einem stehen und jede Tätigkeit beobachten habe ich mich bereits gewöhnt. Dennoch haben wir uns lieber eine eigene Fahrmöglichkeit beschafft und so ging es mit dem Cab rauf auf den Charmundi-Hill. Oben auf dem Berg, der einen wunderschönen Blick auf Mysore bieten sollte, war auch der Tempel, eine Pilgerstätte für viele Hindus. 1000 Treppenstufen führen auf den Berg und natürlich auch herunter – der Trubel direkt vor dem Tempel war uns zu viel und wir entschieden uns recht schnell die vielen Stufen herunter zu stiefeln. Bei bestem Wetter und guter Sicht bot sich entlang der gesegneten Stufen ein toller Blick auf Mysore und seinen Palast, der unser nächstes Ziel war.
Der Palast ist die große Attraktion Mysores, allerdings schreckte uns die lange Schlange eher davon ab uns das Innere des Palastes genauer anzusehen. Die große Besonderheit, der Palast ist mit unglaublich vielen Glühbirnen besetzt und wird insbesondere zu Diwali hell erleuchtet – so auch jeden Sonntag Abend. Die Stromrechnung will ich nicht sehen.
Wir kamen leider nicht in den Genuss, da bereits um 17.30 unsere Rückfahrt angedacht war damit wir wieder einigermaßen früh in Bangalore ankommen würden. Die Fahrt, dieses Mal im Sleeper ging schneller, allerdings waren wir alle ziemlich erschlagen von Treppen steigen, Temperatur und dem unentspannten Schlaf. Mein Fazit: lieber am Freitag Abend los und am Sonntag zurück, als einen Trip für einen Tag zu planen. Da Mysore die nächstgelegene, sehenswerte Stadt von Bangalore ist war es okay, alles andere wird jedoch in einem Tag auch nicht zu schaffen sein.
Zur Zeit habe ich das Gefühl, dass der Freiwilligendienst und die damit verbundene Arbeit, sowie Hindi-Lernen und Yoga mir viel des indischen Lebensgefühls mitgeben und meinen Alltag auch völlig ausfüllen – dennoch hoffe ich, dass bald auch das Reisen mehr wird.
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