Es ist teilweise wirklich lustig, wie schnell so eine kleine Umgebung ein vertrautes Gefühl auslösen kann – hier in Malleswaram, zeigen sich sogar erste „heimische“ Ansätze, so erkennt mich die Verkäuferin von Praveens Lieblingsschmuckladen schon direkt (ich zum Glück auch sie) und lächelt mir zu und beim dritten Zusammentreffen bleibt auch ein „Hey, how are you?“ nicht aus. Die Verkäuferin des Sandwiches-Ladens weiß direkt bei meinem zweiten Kauf meine Antwort auf die Frage nach der grünen, scharfen Sauce: „Without the green sauce and take away – right?“ Das macht mich irgendwie glücklich, so eine kleines „Viertel“ zu haben. Denn ganz anders war es am Samstag nach einem halben Tag (in Indien gibt es die 6-Tage Woche) als wir uns in die Commercial Street begeben haben. Eigentlich war ich auf der Suche nach einer geeigneten Kurti für meine ersten Tage in der Schule – doch „Ma’am come! Ma’am wanna buy, good price!“ sowie das Überangebot der zahlreiche Shops hat meine Euphorie direkt überschattet. Im Gegensatz zu ‚meinem‘ grünen und ordentlichen Malleshwaram ist die Gegend von Shivaji Nagar staubig, pflanzenlos und stark vermüllt. Rollerfahrer und Auto-Rikshas schlängeln sich hupend durch die Fußgänger, bis an die Decke hängen in den Shops pailettenverzierte, glänzende Gewänder, der Geruch der Chemikalien der Kleidung paart sich mit faulen Straßenabfällen – und schon muss ich Benni wieder zur Seite reißen, damit er nicht angefahren während mir von der anderen Seite ein „Ma’am – Bags, bags, bags!“ in die Ohren geschrien wird – entspanntes einkaufen sieht anders aus, aber was erwarte ich auch von einer Straße die Commercial Street heißt?! Das sonderbare daran: wir sehen keinen einzigen anderen Touristen = Weißen. Wer kauft also dann hier ein, bei diesem Überangebot? Wir gehen lediglich in zwei Shops, als „Foreigner“ ist es eben doch nervig, da uns sowieso eine Ausländer-Pauschale erhoben würde. Heute erfahren ich von Shruti, Praveens Nichte, dass auch sie in der Commercial Street permanent angesprochen wird.
Der Begriff Foreigner bezeichnet auch den nächsten Tag: Meena und Sharmeela dachten es sei eine gute Idee uns mit einer Fahrt in einem City-Sight-Seeing-Bus einen Überblick über Bangalore zu verschaffen. Bereits am Sonntag morgen wache ich zu einem nicht endenden Plätschern auf – it rains cats and dogs! Meinen Regenschirm habe ich natürlich in Deutschland gelassen und mache mich daher mit Tuch geschützt auf den Weg zum kleinen Busbahnhof in Malleshwaram. Dort treffe ich Sami und Benni und wir drei fahren mit dem Stadtbus zu Majestic – dem riesigen Busbahnhof Bangalores, wo unsere Bus-Tour starten soll. Der Kontrolleur im Bus fragt uns erstmal aus, woher wir kommen, wie wir heißen, wo wir wohnen „Ohhh, Germaniiii“ – eine bereits bekannte Reaktion. Angekommen am Busbahnhof Majestic schüttet es immer noch wie aus Eimern und wir haben keine Ahnung wo dieser „Volvo-Bus“ (scheinbar das Merkmal) abfahren soll. Was macht man wenn man keine Ahnung hat? Jemanden in brauner Uniform fragen, die ihn oder sie in den meisten Fällen auch nicht dazu befähigt Ahnung zu haben. Jedem dem wir unser Ticket zeigen schaut erst skeptisch und zeigt in eine Richtung. Ursprünglich hatten wir noch 50 Minuten Zeit bis der Bus abfahren sollte, diese 50 Minuten verbrachten wir jedoch leider wirklich damit von der einen zur anderen Seite zu rennen, dabei mittlerweile völlig durchnässt und immer noch ahnungslos. Dann endlich kam der entscheidende Tipp und wir fanden endlich zum Bus. Wir besuchten einige Tempel, den Regierungssitz in Bangalore sowie die Sommerresidenz des Sultans – hier begannen wir dann Sight-Seeing im selbsternannten Foreigner-Style: nämlich als Zaungast. Der Eintritt für SAARC und Länder sollte dabei 15,- kosten, Foreigners 200,- – gehts denn? Da unser Geldvorrat überschaubar war, haben wir also wirklich durch den Zaun geschaut, ingesamt war die gesamte Tour nicht besonders informativ, wenn auch lustig. Besonderes Entertainment bot der Sprecher im Bus, der zwischen Kannada und Englisch die kleinen Geschichten Bangalores erzählte und stets physisch die Rundwege durch die Tempel demonstrierte – ein bisschen wie die Sicherheitseinführung im Flugzeug. Dazwischen fing er an zu singen oder uns die Fakten per Mikro abzufragen. Wir hatten das große Glück, dass er sich zu uns in den 4er gesellte und wir daher stets aufmerksam sein mussten. Auch hier kamen wieder alle Stereotype auf den Tisch: „You Foreigners are always on time – but the other lady from Belgium is not!“ Die Antwort auf diese Frage wurde natürlich wieder mit unserer Nationalität beantwortet, jaja, kennst du einen kennst du alle. Den wohl amüsantesten Moment der Tour hatten wir jedoch im Lalbagh Botanical Garden. Der botanische Garten, der unter anderem angepriesen wurde durch die exotischen Pflanzen aus Frankreich und Spanien und einem Glashaus aus der Kolonialzeit, war leider nicht so schön wie erwartet. Dennoch bot der große Felsen eine kleine Aussicht auf Bangalore. Nachdem wir doch mal ein paar Fotos geknipst hatten und eigentlich zum Bus gehen wollten kamen ca. 20 Schülerinnen um die 14 Jahre auf uns zu: „Sorry, can we take a selfie?“ Bei einem Selfie blieb es dann nicht, sondern endete eher in einem Klassenfoto mit Lehrer. „Where are you from?“ - „Germany“ - „Ohhhh, Germaniii, my favourite country!“ Immerhin wussten sie, dass Germany ein Land ist. Auf der Suche nach einer Kurti im nahegelegen Markt meiner Unterkunft sprach mich ein junger Mann an und wollte ebenfalls ein Foto. Auf die Frage, was er damit vorhabe konnte er mir keine Antwort geben, so ganz kalt konnte ich dann jedoch nicht sein und posierte für zwei Bilder mit ihm – „Germany is a nice city!“ Da musste ich dann doch ziemlich lachen und ihm erklären, dass es ein Land ist. Ob er verstanden hat, dass es Länder gibt welche die selbe Größe eines indischen Staates haben können, weiß ich nicht, aber ich kann es ihm auch nicht verübeln. Vielleicht hat er noch nie eine Weltkarte gesehen, wer weiß es schon.
Womit ich wieder zum eigentlichen Thema neben meinem Einleben in Indien komme: den Schulen. Am Freitag Donnerstag besuchten wir erst einen Unterricht in einer Government School. Genau genommen eine Computerklasse mit 4 Schülern und einer Schülerin. Wenn ich Computerklasse sage, löscht jegliche Vorstellung aus eurem Kopf: stellt euch vor ihr geht in einen dunklen Raum, vergleichbar mit einem Kellerraum, klamm-feucht, ein kleines Fenster lässt etwas Licht hereinfallen. Die Wände sind dick und der Putz blättert bereits von ihnen ab. Inmitten des Raumes ist eine riesige Wasserlache und es riecht leicht muffig. An den Wänden stehen sehr, sehr alte, teilweise kaputte Schreibtische auf denen Monitore und verschiedene Tower-Rechner stehen. Inmitten des Raumes stehen Gartenstühle aus Plastik, einer liegt direkt in der Wasserlache andere sind ineinander gesteckt, daneben uralte Barhocker. Mücken schwirren durch die Gegend. Ungefähre Vorstellung? Gut! In diesen Raum rennen 5 völlig angeknipste ca. 9-Jährige, die uns bereits von der anderen Seite des Schulhofes zugewunken haben – sie schreien, schubsen sich, nehmen sich die Plastikstühle und starten den Computer. Es flimmert Windows XP auf den Monitoren, in unglaublich augenunfreundlicher Auflösung. Ich setze mich zu Sowmya ein wirklich kleines, schüchterens Mädchen, dass jedoch mit den Augen jedes Wort von Ageshey, einem Lehrer der DSF, aufsaugt. Das Ziel der Unterrichtseinheit? Font Size, Font colour und Schriftausrichtung. Den Kindern hat die Aufgabe viel Spaß bereitet, dabei waren sie allerdings sehr, sehr laut. Gestern war ich denn in einer weiteren Schule in RT Nagar, sowie dem dazugehörigen Center der DSF. Der erste Eindruck in der staatlichen Schule war ernüchternd, da Unterricht in erster Linie daraus bestand, dass die Kinder der sehr, sehr strengen Headmistress einfach nur alle Wörter nachgesprochen haben, wie dabei ein aktiver Lernprozess stattfinden soll bleibt mir ein Rätsel. Die Kinder sitzen auf dem Boden während die Lehrerin an einem Tisch sitzt und in Hefte die Aufgaben für die Kinder schreibt. Weder noch Tafel oder irgendetwas werden zur Anschauung genutzt. Genau diese Dinge sind es jedoch auch, die die DSF am Schulsystem verändern möchte, bzw. die Lehrende aufmerksam machen möchte. Die Kinder in der Schule waren alle sehr neugierig – ich musste zahlreiche Hände schütteln „Miss, Hi!“, „Miss, miss, look!“ – An das ganze Yes, Mam und Hi, Miss muss ich mich noch gewöhnen. Auch die Headmistress hat mich mit Ma’am angesprochen.
Am Nachmittag im Center war zwar auch ein strenger Ton, jedoch war der Unterricht um einiges lebendiger und explorativer – Varsha, die sonst ein super fröhlicher Mensch ist, habe ich im Unterricht kaum wieder erkannt. Kamen die Schüler zu spät hat sie knallhart durchgegriffen und kamen sie später als 10 Minuten mussten sie wieder gehen. Und wenn man spricht muss man stehen bleiben. Die Schüler mit denen ich gesprochen habe, mussten leider eine Weile stehen bleiben, weil ich eben nicht daran gewöhnt bin ihnen zu sagen, dass sie sich wieder setzen können :D Auch daran werde ich in Zukunft denken müssen.
Heute besuchte ich dann „meine“ Schule, eine Primary School in Yeshwantpur und das dazugehörige Center. Hier werde ich wahrscheinlich die nächsten Monate verbringen und in der Schule 2nd Standard Schüler unterrichten. Heute bin ich noch mit Auto-Riksha gefahren, sonst werde ich jedoch den Bus nehmen, da mir die Diskussionen über den Preis mit den Fahrern zunehmend auf die Nerven gehen. Eine Fahrt mit der Auto-Riksha kostet 40 Rupien, mit dem Bus nur 10 – dabei kommen beide in ähnlicher Zeit an, da man eher aus dem Bus springen muss, da dieser nur eine viertel Sekunde zu halten scheint. Die Senthe Beedi School in YPR ist eine staatliche Schule, in der ich Sharmeela zum Englisch Unterricht begleite. Zunächst haben wir zwei große Runde Tische in den Raum gestellt und bestuhlt, damit die ca. 15 Jungen und Mädchen auch im Sitzen arbeiten konnten – und dann gings auch schon los. 15 schreiende, kabbelnde Kinder kommen in den Raum gerannt, rufen, wollen meinen Namen wissen, hauen sich gegenseitig und schmeißen ihre Taschen auf den Boden. Ich versuche mir erstmal die Namen zu merken, indem ich die Taschen der DSF verteile in denen sich die bereitgestellten Schreibhefte und Stifte befinden. Die Hälfte der Namen spreche ich vermutlich falsch aus, aber irgendwie klappt es. Die Lernlevel der Kinder sind absolut unterschiedlich, einige Mädchen und Jungen sind sehr gut und andere brauchen laut Sharmeela ewig. Ich nehme mich also den drei Jungen an, die etwas mehr Unterstützung brauchen. Die Kinder sind dabei das ABC zu lernen, also schreiben sie ohne Ende den Buchstaben „F“ in ihre Hefte. Die Jungs haben weniger Probleme sich zu konzentrieren, sondern viel mehr feinmotorische Bewegungen auszuführen, ich lege als meine Hand auf ihre kleinen Hände und zusammen zeichnen wir ein „D“ nach dem anderen „from blue to yellow, uuuuup and down – VEEEEERY GOOOOOD!“. Mein Englisch-Dozent würde wahrscheinlich die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, da ich die Kinder eindeutig mit Lob überschütte, sodass ein wirklich ernst gemeintes Lob für eine tolle Leistung gar keine Bedeutung mehr zukommt – aber so läuft es hier eben. Ein Junge, ist laut Sharmeela „not normal“ – daraus resultiert, dass er einfach malen soll. Alle fünf Minuten fasst er mich an den Arm und zeigt mir die ausgemalten Figuren: „Ohhhh, a blue kangaroo – very, very good!“ In meinen Augen hat der Junge eine Behinderung, der sich einfach niemand annehmen kann oder möchte. Insbesondere diese Kinder fallen hier sicher durch das System, glaube ich. Plötzlich erscheint in der Tür ein stark abgemagerte Frau, die mich irgendwie anlächelt, auch den Mund bewegt aber nicht wirklich etwas sagt. Ich begrüße sie fröhlich mit einem „Hello“ und sie lächelt erneut. Ein Junge vom Tisch sagt etwas in Kannada (die regionale Sprache Karnatakas) und sie zeigt erboßt auf ihn! Sharmeela weist ihn scharf zurecht und erklärt mir, er habe sie gesagt sie sei dumm. Es ist üblich, dass in den Schulen und auch in den Centern Hilfskräfte angestellt sind die Tee und Kaffee kochen oder wie ich später erfahre eben die Toiletten säubern. Nicht nur der eine freche Junge, sondern auch der besondere Junge scheint die Frau zu beleidigen und sich über sie lustig zu machen. So kommt es zu der Situation, dass die Frau plötzlich auf ihn los geht und ihn ein paar leichte Schläge an den Kopf gibt und ihn fast vom Stuhl zieht – der Junge wehrt sich und schließlich schreite ich ein und trenne die beiden mit den Worten, dass es nicht okay ist, dass er das zu ihr sagt, sie ihn jedoch auch nicht schlagen kann. Deutsche Freiwiliige in indischer Schule hin oder her – Gewalt hat in meiner Nähe nichts zu suchen. Natürlich konnte ich so nur agieren, da ich in gewisser Weise autoritärer als die Frau war – aber was wenn ein Lehrender oder andere Personen die ich anders zu respektieren habe so reagieren? Ich hoffe einfach, dass es nicht passiert. Als ich die Geschichte heute Abend Auntie erzähle sagt sie, ich sollte mich aus „Fights“ raus halten und jemanden rufen. In diesem Fall habe ich nun nicht erwartet, dass plötzlich jemand ein Messer zieht, aber generell sollte ich meine Zivilcourage wohl etwas zurück halten – das ziehe ich zumindest aus dem Ratschlag und den folgenden Geschichten von Auntie. Im Anschluss im Center helfe ich Jagadish, einem jungen, sehr netten Lehrenden der DSF, bei einer Computerclass. Heutiges Thema: Ordner erstellen, Paint Datei bearbeiten und absichern. Die Kinder bekommen das Bild eines Fisches, der aus Rechtecken und gefüllten Flächen besteht, das sie „nachmalen“ sollen – meine Paint-Skills lassen zwar auch zu wünschen übrig, aber es ist wirklich süß und schön anzusehen, wie angestrengt, wissbegierig und vor allem übermotiviert die Kinder versuchen das Programm zu beherrschen. Am Ende des Tages bekomme alle Kinder noch einen kleinen, süßen Snack bevor es nach Hause geht und Jagadish begleitet mich noch zum Bus. Das sind die ersten Eindrücke die ich aus dem Schulleben hier gewonnen habe, wie ich mich einbringen will muss ich für die nächsten Wochen und Monate mal schauen, da heute ebenfalls ein Meeting bezüglich konzeptioneller Unterrichtsgestaltung der DSF stattfand, das mich ziemlich interessiert, ich werde sehen was möglich ist…
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Jenny (Freitag, 22 September 2017 15:04)
Meine liebe Jule,
es ist schön deinen Worten zu folgen. Man fühlt sich dann nur halb soweit entfernt und ist quasi mittendrin.
Wenn es die Zeit zulässt - call me!!
Ich vermisse dich.
Dicken Kuss