Zwischen Rihanna und Sari

Die ersten Tage hier in Bangalore vergingen blitzschnell – ich sitze in meinem Zimmer auf einer kleinen Bank, draußen prasselt das erste Mal der Regen und die kühle, feuchte Luft breitet sich durch den Spalt der Tür auch endlich in meinem Zimmer aus. Die dünne Gittertür, die Mosquitos, Streifenhörnchen, Mäuse und Ratten abhalten soll wird hoffentlich ihren Dienst erfüllen und meine mit 13 Stichen lädierten Füße können etwas abschwellen.

 

 

Ich wohne also hier in Malleshwaram mit Auntie, einer älteren Dame, wahrscheinlich Ende 70 und ihrem 40-jährigen Sohn Praveen in einem zweistöckigen Apartment. Auntie ist ehemaligen Zoologie Professorin und übersetzt gelegentlich Texte. Praveen arbeitet von Zuhause aus als Übersetzer für Hindi, Englisch, Französisch, Spanisch und weitere indische Sprachen. Mein Zimmer ist eines von zwei der im 1. Stock liegenden Gästezimmer. Das andere Zimmer belegt zur Zeit Lea, eine Freiwillige, die im März in der DSF angefangen hat, aber im Moment für zwei Wochen im Urlaub ist. Die beiden Gästezimmer mit jeweils anliegendem Bad sind durch eine verdunkelte Glastür voneinander getrennt. Mein Zimmer bildet den Eingang zur wunderschönen Dachterrasse, weshalb Auntie morgens vorsichtig durch mein Zimmer schleicht, um die Pflanzen zu gießen. Ein Vorhang gibt meinem Bett dann  etwas Privatsphäre. Wie ich über Sharmeela erfahren habe, bin ich in einem typischen Brahmin Haushalt, der höchsten Kaste Indiens, gelandet. Dies bedeutet für mich, dass es mir nicht gestattet ist Fleischgerichte mitzubringen oder zum Beispiel Dinge mit den Beinen oder Füßen zu berühren. Auntie betet am Morgen und steht dafür sehr früh auf und am Abend klingen die hinduistischen Lieder von ihrem Handy durch das Haus. Praveen hält von diesen Traditionen nicht viel, generell ist er eher westlich orientiert. Er hat in Kanada und den USA studiert und mir bereits stolz seine Sammlung maßgeschneideter Cowboy-Boots präsentiert – ein starker Gegensatz zu seiner Mutter, die sich nur in Sari durch das Haus bewegt. Praveen war bereits zwei Mal in Form von arrangierten Ehen verheiratet – Auntie sucht noch immer nach einer geeigneten Frau, während Praveen jedoch lieber alleine bleiben würde, bevor wieder eine Beziehung zerbricht. 

 

Die letzten beiden Abende habe ich mit Praveen und Auntie zusammen am Esstisch im Erdgeschoss gegessen. Auntie kocht selbst, den Abwasch erledigt jedoch das Hausmädchen am nächsten Morgen. In meinem Zimmer befindet sich neben dem Bett und dem Bad in einer Kommode und einem Regal, Teller, Besteck, Wasserkocher und alles weitere was ich für das Frühstück brauche. Ich esse also nur mit Praveen und Auntie, wenn ich dazu eingeladen werde, ansonsten versorge ich mich selbst, wärme das Essen in der Mikrowelle unten auf und esse (noch) alleine in meinem Zimmer oder der Terrasse. Im Anschluss kann ich draußen in einem Waschbecken meine Utensilien spülen – diese Handhabung hat in den ersten Tagen für starke Verwirrungen bei mir gesorgt. Auch wenn ich die 14 Hausregeln gelesen hatte, hatte mich über diesen Ablauf niemand aufgeklärt, sodass ich versehentlich meine Teller unten gespült habe und dezente Hinweise zur Unterlassung von Auntie erhielt. Aber nun weiß ich Bescheid und kann dem Protokoll weiter Folge leisten. 

 

 

Meine erste Tätigkeit am Morgen meines ersten Tages: das Bad putzen. Das Badezimmer wirkte nicht sonderlich schmutzig, aber auch nicht wirklich sauber. Ich schiebe die Schuld erstmal auf die vorherigen Freiwilligen, da in den House Rules steht, dass Badezimmer und insbesondere Toilette von den Freiwilligen selbstständig gereinigt werden müssen. Ich habe mich zwar nicht im Bad geekelt, keinesfalls, aber ich muss den Zustand ja auch nicht für die nächsten 6 Monate so hinnehmen. Also versuchte ich erstmal mit meinen Mittelchen etwas sauber zu machen, bevor ich am nächsten Tag Putzmittel und Lappen aus dem Supermarkt kaufte. Im Anschluss machte ich meine erste echte Erfahrung mit dem neuen Duschsystem: Wasser in den großen Eimer, Becher mit Wasser füllen und ganz nach Herzenslust über den Körper schütten. Dabei wird das gesamte Bad unter Wasser gesetzt (sehr nützlich, wenn man eh vor hat zu putzen) das anschließend mit einem kleinen "Reisigbesen" aus Plastik in den Abfluss geschoben wird. Das nicht ganz so warme Wasser ist dabei wahnsinnig erfrischend! 

Mein Frühstück habe ich danach erstmal geskippt, grundsätzlich weiß ich nicht ob ich es wirklich schaffe bereits am Morgen Curry, Rothi oder Dosa zu frühstücken. Obst, etwas Milch und Haferflocken scheinen meinem Körper doch etwas verträglicher.  

 

Die ersten Tage in der Dream School Foundation bestanden aus Organisatorischem und werden auch die nächsten Tage noch daran anknüpfen. Ich versuche erstmal alle Namen zu verstehen, richtig auszusprechen sowie aufzuschreiben und ein bisschen über meine Mitmenschen zu erfahren. Ein Großteil der Mitarbeiter, wie Sharmeela und Maitreyee kommen ursprünglich aus der Software-Branche und arbeiten nun als Lehrende und Koordinatoren. Maitreyee ist sehr beschäftigt und hat sich dennoch am Mittwoch Abend Zeit genommen, nach einem gemeinsamen "Feierabend-Chai", mich kurz zum Supermarkt und zum Milchladen zu begleiten. Dabei wurde mir klar, dass Maitreyee sich normaler Weise nicht zu Fuß auf den Straßen Bangalores bewegt – ziemlich unsicher folgte sie mir über die Straßen und die kniffligen Bürgersteige. Angekommen am Supermarkt musste ich dann meinen Rucksack einem Sicherheitsmann geben, der ihn für mich in einem Regal vor dem Supermarkt aufbewahrte: ich machte mir einfach kurz keine Gedanken darum, dass sich meine komplette Identität in Form von Reisepass, Visum, Laptop und Festplatte darin befand. Maitreyee schien ebenfalls etwas überrascht. Im Anschluss kaufte ich eine Tüte Milch, abgepackt wie Mozzarella, an einem Milchgeschäft, dass von den ansässigen Milchbauern beliefert wird.  Sie brachte mich dann noch kurz zu meinem Apartment und wählte die Nummer ihres Fahrers – ihr Fahrer, den ich im Laufe des Tages als Teeservierer in der DSF kennengelernt habe, fährt Maitreyees gesamte Familie. Heute erzählte sie, dass sie auch einen Koch beschäftigen würden. In Deutschland würde man diesen Lifestyle wohl als sehr dekadent bezeichnen, für Maitreyee völlig normal. Maitreyee selbst, als meine Chefin und Mentorin, habe ich jedoch ganz anders kennengelernt: heute in der "Introduction to Indian Culture – urban context" erklärte sie uns ein paar soziale Gegebenheiten im traditionellen und modernen Indien. Dabei wurde deutlich, dass auch wenn Maitreyee dieses Leben hat, mit Fahrern und Köchen, sie keineswegs darauf Wert legt. Sie lehnt es ab vom Personal, wie der Putzfrau in der DSF mit Ma'am angesprochen zu werden oder dass sie ihre Füße aus Respekt berühren möchte. Ihr ist es auch egal, im Gegensatz zu ihrer Schwiegermutter, dass jemand aus einer anderen Kaste als Koch eingestellt wird. Ihre Töchter sollten heiraten wen sie wollen und es würde auch keine große Hochzeit geben, um den eigenen Status zu demonstrieren. Sie beobachtet viel mehr einen "Generation Gap" zwischen den jungen Indern (wie z.B. ihrer Töchter) und sich selbst. Ihre Töchter möchten kein traditionelles Essen – sie möchten Pizza und Nudeln. Sie wollen auch keine Saris sondern Jeans und Tops. Natürlich gibt es, insbesondere in den ländlicheren Gegenden viele Menschen, die in Tradition leben, aber bezüglich des Lebens in der Großstadt wie Bangalore sind mittlerweile auch andere Ansichten vertreten. 

 

Woher die Ansichten kommen, wird deutlich als wir heute mit Sharmeela zur Orion Mall fahren, um dort Lunch zu essen. Auf der vierten Ebene des riesigen Shopping Centers sind neben McDonalds und Subway zahlreiche Essensmöglichkeiten. Schon beim Betreten des riesigen Komplexes aus glänzendem Stein mit Glasfassade, fühle ich mich im falschen Film. So schnell habe ich mich an die kleinen Küchen, die Straßenverkäufer und die kaputten Bürgersteige gewöhnt. Die leuchtenden Schriftzeichen und dekorierten Eingangsbereiche der Stores von Fossil, Zara oder Ed Hardy passen hier einfach nicht hin! Oder bin ich es, in meiner luftigen Hose, dem einfachen T-Shirt und Schlappen, die hier auch nicht hinpasst? Das Gebäude wirkt viel zu groß und steril für die wenigen Menschen die auf den Rolltreppen stehen oder die Schaufenster begutachten. Ein Song von Bruno Mars schallt durch den offenen Innenhof und nicht nur ich sondern auch Benni stellen fest, dass dieser Ort genau so die Europa Passage in Hamburg sein könnte. Beim Essen verschiedener Nordindischer Gerichte (Masala Puri, Sev Puri, Samosa), frage ich weiterhin Sharmeela aus über ihre Hobbies und ihr Familienleben. Sharmeela ist einfach super, keine Frage, außer die ihres Alters, würde sie nicht beantworten und dabei ist sie so fröhlich und lustig – ich freue mich schon mit ihr zusammen in Yeshwantpur im Lernzentrum zu arbeiten. Wir diskutieren also über ihre Lieblingssängerinnen Rihanna und J.Lo und die Bücher die sie gerne liest. Dabei erzählt sie auch immer wieder von dem leckeren, traditionellen Essen ihrer Mutter, den Ehen ihrer Schwestern und ihrer Entscheidung keine Kinder haben zu wollen – sie selbst ist auch nicht besonders religiös und als sie dann auch noch erwähnt, dass sie nach der Arbeit und am Wochenende am liebsten eine Folge "Game of Thrones" nach der anderen schaut müssen wir doch alle über unseres gemeinsame Laster lachen – und ich stelle fest: Sharmeelas Leben ist kaum anders als  das vieler Leute in Deutschland, bzw. Europa. Mir ist zwar bewusst, dass diese Art des Lebens nur wenigen Indern vergönnt ist, bislang ist jedoch hier in Bangalore mein Eindruck ein anderer. Ich könnte mir jetzt darüber Gedanken machen, dass es falsch von mir ist in dieser riesigen Mall, zwischen Businessmännern, Studenten und gelangweilten Hausfrauen mir Lunch ausgeben zu lassen und so in meinen Freiwilligendienst zu starten – aber Fakt ist, dass auch diese Welt, diese Art des Lebens in Indien existiert und in den Gesamteindruck mit einbezogen werden muss, um das Land, seine Herausforderungen und seine Entwicklung zu verstehen. In Yeshwantpur werde ich in einem Lernzentrum mit Kindern zwischen 7-11 Jahren arbeiten, von denen viele aus Slums kommen und deren Familienumfeld und folglich ihre Kindheit stark von Kriminalität beeinflusst wird. Ich soll ihnen Englisch beibringen, das wahrscheinlich mit dem Lehren des ABCs beginnen wird. Bis dahin schaue ich mir erst noch die anderen Lernzentren an und werde die Mitarbeiter kennenlernen, die ebenso wie Sharmeela jeden Tag diesem sozialen Kontrast ausgesetzt sind – ich bin gespannt, was dieser Prozess in mir auslösen wird ... 

 

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Kommentare: 1
  • #1

    PONKI (Freitag, 15 September 2017 17:34)

    Ola Jule,
    Du hast eine Art zu schreiben, dass es eine Wonne ist Deine Erzählungen zu lesen. Ich kann mir richtig gut vorstellen wie es dort so ist und wie Du die Eindrücke alle erlebst. Ich beneide Dich darum und finde nach wie vor es toll und mutig , dass Du diesen Schritt getan hast. Indien ist das einzige asiatische Land, das mich neben Nepal (und eventuell noch Pakistan oder Sri Lanka) interessieren würde. Über meine bisherigen 3 indischen Patenkindermädchen und deren "annual letter" zu Weihnachten und die Info-Briefe der Partnerorganisationen der Kindernothilfe bin ich ein wenig im Bilde unter welchen Bedingungen die Ärmsten dort leben und was das Leben in Indien bedeutet. Um so toller ist es , dass Du, (auch aus durchaus individuellem Interesse) aber auch aus sozialen Motiven heraus auf Deiner Ebene sich derer Menschen annimmst.
    Hab weiterhin viele eindrucksvolle Momente, lerne ganz viel, gib viel weiter, hab viel Spaß und bleib gesund ! Dein PONKI